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Christian Ochsner

 

 

Zuerst denke ich: ‚das ist ein Katz’.  Dieses luzide Grün, dieser paradoxe Blick auf die Pflanze, schamlos-heiligend, in seiner Zurückhaltung und gleichzeitig seiner Übersteigerung. O’Keeffe streift noch entfernt die Gedanken beim Schweifen über die Bilder, doch spätestens dann verlässt man den amerikanischen Boden, hält in der Schweiz für den Bruchteil einer Sekunde bei Marcus Jacobi inne und wird sich schliesslich bewusst, dass nichts von alledem greift. Denn das hier ist anders. Bei allen Anklängen, bei allen vertrauten Schwebungen: hier schafft einer, der schafft eigen.

 

Da ist diese Landschaft bei Mariastein, 2014. Unerträglich. Natürlich, auch die Landschaft an sich unerträglich, unerträglich in ihrer Klarheit, Reinheit, Schönheit. Viel unerträglicher aber hier die sich aufbäumende Farbschicht, die in völliger Ignoranz das Bild zerschlingt. Schlicht inakzeptabel. Man traut seinen Augen nicht, dass der Maler sich traut. Schleierhaft fieselt sich das Un-Ding ins landschaftliche Paradies und schleierhaft bleibt, was das soll. Denn die Farbverwerfung am linken Rand entzieht sich jeglicher Verantwortung. Man möchte sie wenigstens als Ungetüm bezeichnen dürfen, aber selbst dieser ästhetischen Einordnung entzieht sie sich.

 

Allerdings, vergleicht man das Bild mit anderen Werken der gleichen Schaffensperiode, entdeckt man plötzlich Formverwandte. Handelt es sich um die Entwicklung aus einem Baum heraus? Was auch eine retinale Verletzung hätte sein können und damit im Schmerz an den ertaubenden Beethoven erinnert, hat offensichtlich eine Geschichte, eine sehr präzise Geschichte sogar. Die freilich im Dunkeln bleibt. Doch was formlos war wird plötzlich Form. Der Künstler herrscht. Eine gewisse Versöhnung.

 

Trotzdem: das Bild lädt nicht ein, es zwingt sich einem auf. Es ist der Brecht’sche V-Effekt übertragen auf die Kunst. Dieser Blick auf Mariastein ist kein einlullend wohliger, nein, er weckt auf. Er schreckt auf. Mehr noch: Die Wunde, die hier ins Bild reisst, verweigert sich jeder dramatischen Struktur. Sie stört. Wie der Künstler als Störenfried.

 

Und das spiegelt ihren Schöpfer. Der malt in der Schaffhauser Einsiedelei grüne Gräser, und dann geht er nach Basel und wirft wie ein Rübezahl schlammtriefende Baumstrünke auf den eben eröffneten, geschnigelten Bahnhofsplatz und in der Nacht verteilt er in schummrigen Bars gratis Kunst. Rastlos, getrieben, ungebändigt. Getrieben aber auch nach Ruhe, Stille, Einsamkeit.

 

Ein Paradoxon. Ein Mensch. Das ist Christian, kein Katz, ein Ochsner.

 

 

Schmuel Stokvis, Frühling 2014

 

 

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